Knowledge Vorrang für Fußgänger: Wie durchgängige Gehwege für mehr Fußgängerfreundlichkeit sorgen 14 April 2022 Blogs by experts Geschrieben von Eric Post Ein gutes Straßendesign hat genauso viel mit Psychologie wie mit technischer Planung zu tun. Durchgängige Gehwege sind ein Beispiel dafür, wie eine kleine Veränderung das Verhalten und die Interaktion der Verkehrsteilnehmer grundlegend beeinflussen kann. Einrichtung durchgängiger Gehwege An einer herkömmlichen Kreuzung oder Einmündung ohne Ampel verbinden umlaufende Bordsteine die beiden Straßen; an der Stelle, wo die Fußgänger die Straße überqueren, ist der Bordstein abgesenkt. Das bedeutet, dass die Fußgänger den Gehweg verlassen und auf die Straße treten müssen. Obwohl sie dabei Vorrang haben – abbiegende Autofahrer müssen Fußgänger passieren lassen –, vermittelt ein Fußgänger auf der Fahrbahn den anderen Verkehrsteilnehmern die Botschaft, dass er den »Autoraum« betreten hat. Dem herannahenden Verkehr fühlen sich Fußgänger oft schutzlos ausgeliefert, obwohl sie Vorrang haben. In den Niederlanden ist eine fußgängerfreundlichere Lösung weit verbreitet. Dort werden Gehwege oft ohne Unterbrechung über eine kreuzende oder einmündende Straße weitergeführt, so dass Fußgänger zum Überqueren der Straße die Fahrbahn nicht zu betreten brauchen. Dies verdeutlicht und bekräftigt den Vorrang der Fußgänger, denn nicht sie dringen in den Bereich der Autofahrer ein, sondern die Autofahrer umgekehrt in den der Fußgänger. Das Ergebnis: Autofahrer fahren langsamer und achten mehr auf Fußgänger, was diesen wiederum ein besseres Sicherheitsgefühl vermittelt. Mehr Sicherheit Dieses Gehwegdesign hat zahlreiche Vorteile, vor allem sorgt es für mehr Sicherheit. Zunächst einmal müssen Autofahrer langsamer an die Kreuzung heranfahren, wenn sie abbiegen wollen, da die Fahrbahn nicht niveaugleich weitergeführt wird. Sie müssen über eine kurze, aber relativ steile Anrampung (mit einer Neigung bis zu 1:6) auf den Fußgängerbereich fahren. Wenn ein Radweg vorhanden ist, besteht der Raum zwischen dem Fußgängerbereich und dem Radweg aus demselben Material wie der Gehweg, wodurch der Eindruck weiter verstärkt wird, dass der Autofahrer hier »zu Gast« ist. Beim Überqueren des Gehwegs müssen die Autofahrer auf Fußgänger achten und ihnen Vorrang gewähren, bevor sie die Rampe auf der anderen Seite wieder verlassen. Die Anrampung zwingt Autofahrer nicht nur dazu, beim Abbiegen ihr Tempo mehr als sonst zu drosseln, sie bildet auch im übertragenen Sinn eine Schwelle, die den Autofahrern signalisiert, dass sie in eine andere Umgebung hineingelangen, in der sie ihr Verhalten anpassen müssen. Der Niveauunterschied zwischen Fahrbahn und Gehweg erhöht auch deshalb die Sicherheit der Fußgänger, weil sie dadurch besser sichtbar sind. Das ist besonders dort relevant, wo große SUVs und Pick-ups mit eingeschränktem Sichtfeld immer beliebter werden, wie etwa in Nordamerika. Trotz gewisser Ähnlichkeiten ist ein durchgängiger Gehweg in der oben beschriebenen Ausführung nicht das gleiche wie ein erhöhter Fußgängerüberweg, wie er in Nordamerika häufig anzutreffen ist. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass erhöhte Fußgängerüberwege, die in der Regel mit einem Zebrastreifen gekennzeichnet sind, oft noch in Asphalt ausgeführt sind. Gelegentlich werden auch andere Materialien verwendet, jedoch nicht dieselben wie für den Gehweg. Hierdurch bleibt der psychologische Effekt aus, dass die Autofahrer in den Fußgängerbereich »eindringen«, wie er durch den Einsatz einheitlichen Materials erreicht wird. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, dass erhöhte Fußgängerüberwege amerikanischer Bauart meist viel längere, flachere Anrampungen aufweisen, was weniger effektiv ist, wenn es darum geht, Autofahrer zum Abbremsen zu bewegen. Barrierefreiheit Durchgängige Gehwege sind nicht nur sicherer, sie verbessern auch die Zugänglichkeit für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Sehbehinderungen sowie für Personen, die mit einem Kinderwagen unterwegs sind. Für sie sind Gehwegrampen und Bordsteine an herkömmlichen Kreuzungen oft eine Barriere, vor allem wenn dort Risse entstehen und der Asphalt zu bröckeln beginnt. Außerdem bilden sich an den Stellen, wo der Gehweg auf die Fahrbahn stößt, häufig große Pfützen, die bei Minustemperaturen zufrieren und dann äußerst rutschig sind. Ich bin mir sicher, dass meine kanadischen Landsleute sich mehr als einmal im Leben auf einer Gehwegrampe nasse Füße geholt haben oder im Winter dort ausgerutscht sind. Bisweilen wird gegen durchgängige Gehwege eingewandt, dass es ohne Bordstein und Gehwegrampe für Sehbehinderte schwieriger sei, Seitenstraßen zu erkennen. Dies erschwere die Orientierung und gefährde die Betroffenen, wenn ihnen nicht bewusst sei, dass dort außer ihnen auch Fahrzeuge unterwegs sind. Dieses Risiko lässt sich allerdings entschärfen, zum Beispiel durch taktile Bodenindikatoren, die auf eine Seitenstraße hinweisen. Wichtig ist, dass die Verantwortung für ein angemessenes Verhalten in diesem Bereich bei den Autofahrern liegt – was durch die bauliche Ausführung der durchgängigen Gehwege unterstrichen wird. Die Mobycon-Akademie hat Anfang des Jahres darauf hingewiesen, dass viele Menschen mit Sehbehinderung Wege nutzen, die ihnen vertraut sind, und dadurch in der Regel auch an die Besonderheiten dieser Gehwege gewöhnt sind. Alles in allem lassen sich mit durchgängigen Gehwegen also erhebliche Verbesserungen erzielen. Autos fahren langsamer, die Wege werden zugänglicher, und das Umfeld für Fußgänger wird insgesamt sicherer und komfortabler. Es ist an der Zeit, dass wir in Kanada und überall auf der Welt das niederländische Modell übernehmen und Fußgängern den Vorrang einräumen, den sie verdienen.